Thomas Pförtner: „Die Masse kann mit Agilität nicht umgehen“
Diese drei Lektionen können Projektmanager aus Corona lernen
München, 12. Januar 2022
Nach Meinung des Interim Managers und IT-Experten Thomas Pförtner können Projektmanager und Führungskräfte viel aus der Corona-Krise lernen. In den letzten zwei Jahren habe man gesehen, was gute Führung und gutes Management ausmachen kann, wie gut oder schlecht die Politik die Bevölkerung habe mitnehmen können. Auch wenn der Vergleich eines demokratischen Staates mit einem traditionell eher hierarchischen Unternehmen hinke, so gebe es doch Parallelen, meint der international erfahrene Projektmanager, der insbesondere für Unternehmen der Telekommunikationsbranche in den Bereichen Netze und digitale Geschäftsfelder engagiert ist. „Die systemischen und systematischen Zusammenhänge sind sehr interessant zu beobachten. Sobald es komplex wird und alle an einem Strang ziehen müssten, scheitern die etablierten Strukturen oft“, so sein Fazit. Er sieht drei Lehren in der Pandemie und deren Bekämpfung für das Projektmanagement in Unternehmen.
Fachleute sind keine Entscheider
Es sei gut, Fachleute zu fragen, so Pförtner. Deren Rat, Expertise und Erfahrung sei auf der theoretischen und wissenschaftlichen Ebene unverzichtbar. Das gelte für Virologen genauso wie für Spezialisten in Unternehmen. Aber Fachkompetenz allein mache noch keinen guten Entscheider. „Derjenige, der das Detailwissen hat, ist nicht zwingend derjenige, der auch alle Zusammenhänge und Interdependenzen kennt und der letztlich in der Generalverantwortung steht“, so der erfahrene Projektmanager. „Eine Entscheidung für ein System zu treffen ist etwas anderes, als analytische Tiefenkompetenz in einem Teilgebiet zu besitzen.“ Deswegen habe er Verständnis für die Politik, wenn diese nicht immer eins zu eins dem Rat der Wissenschaftler und der Ärzteschaft folgt. Systeme funktionierten niemals monokausal. Sich Fachwissen aus verschiedenen Disziplinen einzuholen, dieses zu bewerten und dann strategisch-universell zu entscheiden, sei die Aufgabe einer Führungskraft. Führen und Verantwortung übernehmen sei eine eigene Disziplin. Diese Verantwortung dürfe auch nicht auf die Fachleute abgewälzt werden. Führung funktioniere einigermaßen unabhängig vom Fachwissen, brauche aber eine valide Grundlage, um einen sachgerechten Austausch zwischen Fachleuten untereinander und den Entscheidern zu ermöglichen.
Führung bedeutet erklären und einbinden
„Man kann nicht zu viel kommunizieren.“ Diese Lektion gelte ebenso analog in Unternehmen wie bei der epidemischen Lage. Man müssen den Menschen erklären, auf welcher Basis Entscheidungen getroffen werden und welches Ziel angestrebt werden soll. „Ständig die Richtung ändern und auf Einsicht in die Notwendigkeit hoffen, reicht nicht aus. Die Menschen fragen nach dem Sinn, dem Weg und dem Ziel. Und sie fragen danach, ob das Ziel überhaupt erreichbar und für sie selbst attraktiv ist“, weiß Pförtner. Hier habe die Politik im Rahmen der Pandemie versagt. Ständig neue Ansagen, ohne ein Ziel auszugeben, sei für die Menschen unzumutbar. Das gelte auch in Unternehmen: „Wer nicht transparent informiert ist, nicht involviert wird und nicht die Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Identifikation bekommt, wird nicht unbedingt am Erreichen des Ziels mitwirken.“ „Menschen mitnehmen“ sei mehr als eine Führungsfloskel. Man müsse ständig im Dialog bleiben und immer wieder auf- und erklären. Nur so behalte man den Führungsanspruch und die Deutungshoheit. Wer zu wenig kommuniziert, verliere an Zustimmung, so der Experte.
Die Masse kommt mit Agilität nicht klar
„Agiles Projektmanagement“ und „agile Führung“ sind in Unternehmen zum Modewort geworden. Meist ist der Begriff „agil“ kombiniert mit den Begriffen volatil, unsicher, komplex und ambig (mehrdeutig). Von VUKA ist immer öfter die Rede. Die Pandemie hat gezeigt, was VUKA wirklich bedeutet. „Die sich ständig ändernden Regeln, Ansagen und Parameter haben die Gesellschaft gestresst und zermürbt“, erklärt Thomas Pförtner. In Unternehmen sei es das Gleiche. Permanenter Wandel, immer wieder neue Umstrukturierungen, neue Produkte und Services, seien für viele Menschen schwer auszuhalten. Sie wollten Stabilität. „Menschen brauchen auch Routinen und Gewohnheiten“, stellt der Projektmanager fest. Mit Agilität, zumal in dieser Dimension, kämen Teams nicht klar. „Es gibt Grenzen der Belastbarkeit und Zumutbarkeit.“ Und: Je agiler ein Projekt oder eine Zeitspanne sei, desto mehr Kommunikation und echte Führung seien notwendig. Man könne die Dinge nicht einfach laufen lassen. „Sonst laufen sie aus dem Ruder.“ Insgesamt sei das Verhalten sowohl der Entscheidungsträger als auch der Menschen in der Pandemie eine Sozialstudie für Unternehmenslenker, Manager und Entscheider.
Mit Agilität könne eben nicht jeder umgehen. Das sei die wichtigste Lehre aus der Pandemie. Man müsse die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen. Ein Team bestehe genau wie eine Gesellschaft aus einzelnen Individuen, die ernst genommen und eingebunden sein möchten. „Befehl und Kontrolle ist genauso wenig ein Führungsmodell der Gegenwart wie Agilität um jeden Preis“, so Pförtners Fazit.